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Traumatisiert sind wir alle

Das Wort Trauma kommt aus dem Griechischen und heißt schlicht Verletzung.

Wenn wir Trauma hören, denken die meisten an extreme Erlebnisse wie Gewalterfahrungen, Kriegsgeschehen, Vergewaltigung, Überfälle, Unfälle oder ähnliches.

Schocktrauma  nennt man diese Art von Trauma (Mehrzahl übrigens, auch aus dem Griechischen, Traumata oder eingedeutscht Traumen).

 

Was viel weniger bekannt, aber viel, viel einflussreicher auf unser aller Leben ist, sind Entwicklungstraumata. Damit sind viele sich wiederholende oder andauernde Überforderungssituationen gemeint, die wir  in unserer Kindheit erlebt haben.

 

Kinderseelen sind zart und so leicht zu verletzen.

 

Und mir scheint, es gibt kaum einen Menschen, der nicht das ein oder andere Entwicklungstrauma mit sich herum schleppt. Deshalb sind wir nicht alle krank, aber die meisten sind, so hart das auch klingt, auf die ein oder andere Weise gestört. Gestört im Sinne von nicht frei von inneren Barrieren und Ängsten.

Das heißt nicht, dass man nicht ein ganz "normales" Leben führen kann. Traumafolgen sind nicht gleichbedeutend mit Traumafolgestörungen, die als PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) ein Krankheitsbild definieren.

Gestört zu sein im Sinne von traumatisiert zu sein, scheint mir eher der Normalfall als die Ausnahme zu sein.

 

Warum ist das so?

 

Dafür muss man wissen, dass kleine Kinder, ja, bereits Embryos im Mutterleib alles an Außenreizen aufnehmen, was auf sie einwirkt.

Kleine Kinder lernen in rasantem Tempo, weil sie alles um sich herum aufsaugen wie ein Schwamm. Ihre Gehirnwellen schwingen noch entspannter, was die immense Lernfähigkeit mit sich bringt.

Bis zum 7. Lebensjahr sind wir wie eine Prägeplatte, in die kontinuierlich neue Information geprägt wird. 

Und: wir sind in hohem Maße abhängig von den Menschen, die uns versorgen. Ohne sie würden wir schlicht nicht überleben. Wir sind darauf angewiesen beschützt, gefüttert, umsorgt und geliebt zu werden. Ist das nicht der Fall geraten wir in Todesangst - und das völlig berechtigt.

 

Ich bin in einer Zeit geboren, in der man den Müttern verkauft hat, dass es wichtig sei Kinder nicht zu verhätscheln. Wir wurden im 4 Stunden Rhythmus gefüttert, das Stillen war nicht en vogue und es hieß "Schreien ist gut für die Lunge". Was erfährt ein Baby also, wenn es dummerweise nicht planmäßig hungrig ist? Nichts! Keinen Trost, kein Stillen (man beachte das Wort!) des Grundbedürfnisses der Nahrungsaufnahme und keine Zuwendung. Was entsteht daraus?

Richtig, Angst. Todesangst. Und wenn es lange genug geschrien hat und dennoch keiner kommt? Hat es sich dann selbst beruhigt? Fehlanzeige. Es hat resigniert. 

Vertrauen in das Leben und in die Bezugsperson kann so nicht wachsen.

Einleuchtend, oder?

 

Und so entsteht eine der gravierendsten und häufigsten Fehlannahmen eines Kindes über sich selbst:

"Es muss etwas falsch mit mir sein, sonst würde ich doch umsorgt und geliebt"

 

Es gibt noch eine Reihe weiterer typischer Fehlannahmen wie:

"Wenn ich nicht brav bin, haben mich andere (respektive Mama und Papa) nicht lieb"

"Wenn ich nichts leiste (z.B. in der Schule gut klar zu kommen), bin ich nichts wert."

"Weil ich nicht so bin wie z.B. meine Schwester/mein Bruder, werde ich weniger geliebt"

usw.

 

Kinder in jungen Jahren können nicht reflektieren und analysieren. Aus abweisenden, kritischen, tadelnden u.ä. negativen Kommentaren und Verhaltensweisen der Eltern oder anderer wichtiger Bezugspersonen ziehen sie den simplen Schluss, dass etwas mit ihnen nicht in Ordnung ist.

Und um das zu bekommen, was sie zum (Über)leben brauchen, verhalten sie sich so, dass sie die bestmögliche Reaktion hervorrufen. Sie passen sich an, verbiegen sich, schweigen, spalten ihre Gefühle ab oder werden zu Rebellen (als Rebell bekommt man auf jeden Fall Aufmerksamkeit ;).

 

In der Grundtendenz gibt es zwei Richtungen, in die die (Über)Lebens Strategien führen: in das ständige Streben nach Autonomie und Unabhängigkeit oder in das Streben sich möglichst eng mit anderen Menschen zu verbinden. 

Im einen Fall beweisen wir uns und anderen, dass wir nichts und niemanden brauchen; wir werden zu Einzelkämpfern. Eine Trotzreaktion.

Im anderen Fall geben wir uns ganz in Beziehungen hin bis hin zur Selbstaufgabe.

Das ist natürlich überspitzt dargestellt, schildert aber im Kern das Problem. In beiden Fällen gibt es keine Balance: Autonomie oder Verbundenheit. Wir brauchen beides im Leben. Wir brauchen sowohl als auch statt entweder oder.

 

 

Die im Kindesalter unbewusst gezogenen Schlüsse führen zu bestimmten Verhaltensweisen. Unsere Persönlichkeit bildet sich durch die Schlussfolgerungen, die das Kind aus den Erlebnissen zieht.

Es mag im Kindesalter eine gute Strategie sein gegenüber einem cholerischen Vater besser schweigsam und unauffällig zu sein, um dessen Wut nicht auszulösen. Das Dumme ist nur, dass sich solche Verhaltensweisen verfestigen und irgendwann so tief verankert sind, dass wir sie kaum wieder loswerden.

 

Um beim Beispiel zu bleiben, trifft der Erwachsene mit cholerischem Vater auf einen Chef oder Kollegen mit ähnlichen Charakterzügen,weckt die Ähnlichkeit des Verhaltens das innere Kind auf und der Erwachsene fällt unvermittelt in die kindliche Angst und in das kindliche Reaktionsmuster. Das kann einen erfolgreichen, gestandenen Erwachsenen ebenso erwischen wie jemanden, der insgesamt eher schüchtern und zurückhaltend ist.

 

Lebhaft vorstellbar, dass sich so etwas nicht gut anfühlt, oder?

Kennst du sowas? Fühlst du dich manchmal urplötzlich völlig verunsichert, wertlos, klein oder schämst dich in Grund und Boden ohne genau zu verstehen, was das eigentlich ausgelöst hat?

Willst du dann nicht auch nichts lieber, als dieses Gefühl so schnell wie möglich wieder loszuwerden?

 

Diese Emotionen sind die deines inneren traumatisierten Kindes.

Es ist von großer Bedeutung das zu verstehen, weil es die alten Geschichten sind, die uns immer wieder kalt erwischen, uns komplett aus der Haut fahren lassen oder in bodenlose Angst und Unsicherheit stürzen.

Mit der realen gegenwärtigen Situation hat das meist rein gar nichts zu tun. Sie ist nur der Auslöser.

 

Ein Beispiel für eine reale Angst wäre, wenn ein bellender, zähnefletschender Hund auf dich zugerast kommt. Das ist eine Situation, in der Angst absolut angebracht ist. Das Gefühl ist echt und angemessen.

Wenn du aber ausrastest, weil dein Partner vergessen hat etwas für dich mitzubringen, weil genau das dich an deine Mutter erinnert, die deine Bedürfnisse nicht gehört hat, dann ist deine Emotion die des inneren Kindes und nicht der Situation angemessen.

 

Je heftiger und unmittelbarer, scheinbar aus dem Nichts kommend deine überwältigende Emotion ist, desto sicherer kannst du dir sein, dass da etwas altes hintersteckt, was rein gar nichts mit dem Jetzt zu tun hat. Das innere Kind ist immer Teil von uns. Die Erlebnisse sind niemals ungeschehen zu machen. Und es wird immer wieder Situationen geben, die die alten Ängste ans Licht holen- triggern, wie man sagt.

In Beziehungen jedwelcher Art, allen voran natürlich in Liebesbeziehungen, stehen uns die alten Geschichten massiv im Weg. Genau da aber besteht auch die größte Chance sie zu heilen. Jeder Trigger ist ein Wachstumsgeschenk d.h. eine Chance bewusst hinzusehen, herauszufinden, worum es denn eigentlich geht. Man kann lernen damit umzugehen und den als Kind als überwältigend erlebten Schmerz stückweise zu integrieren. Das ist möglich.

 

Traumatherapie ist eine verhältnismäßig junge Disziplin.

Somatic Experiencing (SE), eine körperorientierte Therapie nach Peter Levine und das neuroaffektive Beziehungsmodell (NARM) nach Laurence Heller sind die derzeit neuesten und erfolgreichsten Modelle in der Arbeit mit Trauma.

 

Die eigenen traumatisierten Anteile zu erkennen und wohlwollend annehmen zu können, ermöglicht es anders damit umzugehen, nämlich friedlicher, unaufgeregter und so auch in Verbindung mit den Menschen, mit denen man in Beziehung ist, zu bleiben oder sich nur kurzfristig zurückzuziehen statt die Beziehung abzubrechen, wenn es schwierig wird. 

 Das innere Kind ist immer Teil von uns. Die Erlebnisse sind niemals ungeschehen zu machen. Und es wird immer wieder Situationen geben, die die alten Ängste ans Licht holen- triggern, wie man sagt.

Traumaarbeit ist in meinen Augen das Wichtigste überhaupt, um zu mehr Frieden auf dieser Welt beizutragen. Das ist ein Prozess, der uns ein ganzes Leben lang begleitet.

 

Ein Weg vom unbewusst reagierenden zum bewusst agierenden Mensch.

 

Wie steht es mit dir?

Kennst du deine wunden Punkte? 

Welche Situationen lassen dich aus der Haut fahren und wie gehst du damit um?

Möchtest du mal hinschauen?

Möchtest du dabei Unterstützung haben?

Dann melde dich gerne!