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Rituale

 

Für Alle, die am letzten Online Treffen Interesse hatten, aber nicht dabei waren.

 

Es ging um Rituale. Für mich sind sie ein wichtiges Werkzeug, das einem Halt und Sicherheit geben kann.

 

Warum?

 

Unser menschliches Gehirn und unser Körper insgesamt funktionieren nach dem Prinzip „So viel Energie wie nötig, so wenig wie möglich verbrauchen“. Um das zu regulieren haben wir das autonome Nervensystem, das mit dem sympathischen Teil für die Aktivierung zuständig ist, wenn es etwas Herausforderndes zu bewältigen gibt. Dann fahren alle Systeme hoch, die gebraucht werden, um uns wachsam zu machen und uns auf körperliche Leistung vorzubereiten, im Notfall auf Kampf oder Flucht. Sobald die Aufgabe bewältigt ist, tritt der parasympathische Teil des Nervensystems in Aktion, der dafür sorgt, dass alles sich wieder beruhigt: der Herzschlag verlangsamt sich wieder, die Atmung ebenso, die Muskeln entspannen sich und Vorgänge wie Verdauung setzen wieder ein. Letzteres wir im Ernstfall runtergefahren, weil es wichtigeres zu tun gibt.

 

Nochmal in kurz: der Körper versucht immer schnellstmöglich wieder in Balance zu kommen. Man nennt das auch Kohärenz.

 

Wenn wir auf die Welt kommen, können wir uns noch nicht selbst regulieren. Hunger erscheint uns lebensbedrohlich und weil wir uns noch nicht anders verständlich machen können, schreien wir sozusagen um Hilfe. Im besten Fall kommt dann unsere Bezugsperson und stillt unser Bedürfnis. Sie versorgt uns nicht nur mit Nahrung, sondern beruhigt uns, indem sie uns anlächelt, beruhigend auf uns einredet und uns streichelt. Das tröstet uns. Wir fühlen uns geborgen und beruhigen uns.

 

So lernen wir, dass Nahrungsaufnahme beruhigend ist - stillend im wahrsten Sinne des Wortes. Und so erfahren wir auch, dass gehalten werden, gestreichelt und mit sanften Worten angelächelt werden uns ebenso guttun. Menschliche Zuwendung reguliert unser Nervensystem, wenn wir in Stress geraten.

 

Im Verlauf unseres Lebens ist nicht immer jemand da, der uns hält, streichelt und sanft auf uns einredet. Nahrung hingegen ist meisten verfügbar. So ist es nicht erstaunlich, dass die meisten Menschen sich mit Essen beruhigen. Leider tun wir das dann oft über die Maße. Wir stillen einen emotionalen Hunger.

 

Um für Geist und Körper einen weniger gesundheitsschädlichen Weg der Selbstregulierung zu finden, müssen wir nach anderen Wegen suchen, die uns unabhängig von anderen Menschen zur Verfügung stehen. Leider haben wir dabei auch vergessen oder verlernt, dass es eigentlich das Zwischenmenschliche ist, was für uns als Menschen essenziell ist.

 

Warum sind jetzt Rituale ein gutes Mittel zur Selbstberuhigung?

 

Neue Dinge, neue Ort, neue Menschen, neue Aufgaben – all das ist aufregend für uns. Unser Gehirn hat schwer damit zu tun, die neuen Eindrücke zu verarbeiten, sie mit alten Erfahrungen abzugleichen, abzuchecken, ob uns Gefahr droht oder nicht und neue Vernetzungen anzulegen, wenn etwas Neues integriert werden kann… und dann versucht es schnellstmöglich wieder zur Ruhe zu kommen, damit nicht zu viel Energie verbraucht wird.

 

Wenn jetzt der Alltag sehr herausfordernd ist und uns viel Neue begegnet, ist das aufregend spannend, aber eben auch verspannend und anspannend.Da können Rituale im Alltag helfen, um unseren Körper und unseren Geist immer wieder mit einer vertrauten Struktur zu beruhigen.

 

Rituale zeichnen sich durch einen festen Ablauf, einen klar definierten Inhalt, Beginn und Ende aus. Im besten Fall begeht man sie immer zur gleichen Tageszeit. Im Gegensatz zur Gewohnheit sind Rituale bewusst angelegt.

 

Die Tafel Schokolade nach der Arbeit kann so eine Gewohnheit sein. Ein bewusst zelebriertes Ritual ist wie ein Hafen bei stürmischer See. Wir werfen den Anker aus und können locker lassen. Wir sind in Sicherheit. Wie können uns entspannen, weil Körper und Geist wissen, was passiert. Sie kennen den Ablauf, das Gehirn kann auf vertraute Strukturen zugreifen und verbraucht deshalb nur wenig Energie.

 

Was können solche Rituale sein? Da gibt es sehr viele Möglichkeiten. Für mich ist es besonders die Meditation. Ein bewusster Moment des Hinsetzens, absichtslos sitzen und atmen. Bewusst atmen, dem Weg der Luft im Körper folgen. Morgens früh mache ich dafür immer eine Kerze an und ich meditiere immer am selben Ort. Wenn ich woanders bin, ist es die Kerze, die den vertrauten Rahmen gibt und meine gewohnte Sitzhaltung. Da ich das schon sehr lange praktiziere, braucht es nur einen kurzen Moment und mein ganzes System beruhigt sich. Inzwischen ist es auch egal, wo und wann ich meditiere.

 

  • Bewegung wie eine bestimmte Abfolge vor Körperübungen können auch ein Ritual sein. Der Sonnengruß im Yoga zum Beispiel, die fünf Tibeter oder andere Übungen.
  • Ein Lieblingssong, zu dem du gerne tanzt oder ein Stück, das du immer hörst oder singst, wenn du „runterkommen“ willst.
  • Ein Tee am Lieblingsplatz bei dir zuhause jeden Abend kann ein Ritual sein.
  • Das Tagebuch schreiben vor dem Schlafen gehen.
  • Ein bewusster, achtsamer morgendlicher oder abendlicher Spaziergang.
  •   Der Kaffee auf Terrasse oder Balkon morgens, wenn noch alles ruhig ist.
  • Ein bewusstes Aufzählen all dessen, wofür du gerade dankbar bist.
  • ... und vieles mehr. Der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt.

 

Ausschlaggebend ist es, dass du etwas bewusst tust, was dir guttut (was du natürlich noch gar nicht unbedingt wissen kannst, bevor du es ausprobiert hast). Tägliche Übung bzw. Praxis über einen längeren Zeitraum ist nötig, damit dein System sich auch daran gewöhnen kann und der Wiedererkennungseffekt überhaupt erst eintritt.

 

Der Umgang mit der Disziplin, mit dem eigenen Anspruch, dem vielleicht vorhandenen Drang zum Perfektionismus und andere Muster sind wieder ein anderes Thema 😉

 

Jetzt wünsche ich dir Lust dein eigenes Ritual zu entwerfen und es einfach zu tun! Fang klein an! Fünf Minuten jeden Tag bewirken mehr als eine verkrampfte halbe Stunde, die man dann auch nur drei mal pro Woche hinbekommt. Leicht darf es sein und freudvoll, dann hilft es.

 

Herzlichst, Kirsten