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Trauma ist Teil jedes Lebens

 

Die meisten Menschen denken bei dem Begriff Trauma an außergewöhnlich heftige Ereignisse wie Unfälle, Folter, Vergewaltigung. Kriegsgeschehen oder Naturkatastrophen. Ereignisse, die völlig überwältigend, überfordernd und deshalb nachhaltig prägend sein können.

 

 

Je nachdem wie sensibel jemand ist und je nachdem wie viel Unterstützung dieser Mensch erfährt, können aber auch vermeintlich unbedeutende Geschehen im Leben überfordernd und damit nachhaltig traumatisierend sein.

 

 

In der Kindheit sind wir dem Wirken erwachsener Menschen noch völlig ausgeliefert. Viele Situationen sind komplett neu und die Art und Weise wie wir sie erleben ist prägend.

 

 

Ein Beispiel: Ein kleines Kind gerät mit einem anderen Kind auf dem Spielplatz in Konflikt. Die beiden geraten in Streit und ein Kind beginnt das andere zu schubsen. Es könnte das erste Mal sein, dass ein Kind einen solchen Konflikt erlebt. Es reagiert verängstigt, weiß nicht was es tun soll und sucht Schutz bei der Mutter, dem Vater oder wer gerade mit zum Spielplatz gekommen ist. Diese Begleitperson hat vielleicht aber gar nicht mitbekommen, was gerade passierte, weil sie sich unterhielt oder lesend auf einer Bank saß. Sie bemerkt nur, das Kind weint und ist offensichtlich in eine Rauferei verwickelt.

 

 

Jetzt gibt es im Groben 3 Reaktionsmöglichkeiten: Unterstützung, Nichtbeachtung oder Ablehnung.

 

Die eine Person läuft vielleicht zum Kind, bringt die beiden Streithähne auseinander und nimmt das Kind schützend in den Arm. Eine andere ist vielleicht der Meinung, dass das Kind bereits alt genug sei, so einen Streit selbst beizulegen und hält sich raus, eine dritte Person ist genervt von der Störung, vielleicht hat sie auch einen schlechten Tag, ist sowieso erschöpft und verhält sich deshalb kühl und abwehrend. Es sind unzählige Varianten von Reaktionen denkbar, je nach der jeweiligen emotionalen Verfassung, der Sozialisation, der Erziehungsauffassung und der Aufmerksamkeit der Begleitperson.

 

So unterschiedlich wie die Reaktion dieser Person ausfallen kann, so unterschiedlich wird auch das Erleben des Kindes ausfallen. Es wird sich beschützt, geborgen, missachtet, hilflos, allein, verängstigt oder machtvoll und stark fühlen, je nachdem wie das Ganze ausgeht.

 

 

 

Daher kann ein solches Ereignis prägend sein, weil unsere Psyche sie als Erinnerung abspeichert und wir in einer solchen Situation unbewusst „planen“, dass uns so etwas nie wieder passieren soll. Das Ergebnis im Kopf des Kindes kann lauten: „Spielplätze sind gefährlich. Da will ich nie wieder hin“. Oder „Wenn mich jemand bedroht, ist jemand da, der mich beschützt.“ Oder „Ich muss nur laut schreien, dann eilt mir jemand zu Hilfe“ oder „Egal wie sehr ich leide und weine, es interessiert niemanden“ oder „Ich bin stark, wenn ich fest genug zuhaue, lässt der andere mich in Ruhe“ oder, oder, oder. Auch hier wieder unzählige Möglichkeiten.

 

 

Ihnen allen ist gemeinsam, dass wir etwas abspeichern, nämlich eine Erinnerung und, sollte diese Erinnerung unangenehm gewesen sein, folgt automatisch eine unbewusste „Strategie“ zur Vermeidung einer Wiederholung. Das kann der Vorsatz sein, nie wieder hilflos oder machtlos sein zu wollen oder die Überzeugung, dass man im Zweifel allein ist und sich auf andere Menschen nicht verlassen oder ihnen nicht vertrauen kann. Oder dass menschliche Gesellschaft gefährlich ist und man sie besser meidet.

 

Wirkt das überzogen?

 

 

Trauma ist Teil jeden menschlichen Lebens, es ist uns nur nicht bewusst.

 

 

Jeder Mensch hat Situationen in der Kindheit erlebt, die von außen betrachtet harmlos und alltäglich erscheinen, aber für die Psyche eines Kindes ganz und gar überfordernd und dauerhaft prägend sein können. Glaubenssätze, die in der Kindheit entstehen, begleiten uns oft unser ganzes Leben lang und können uns, so hilfreich und logisch sie im ersten Moment waren, später mitunter sehr im Weg stehen.

 

Denn, sobald eine Situation an das alte Geschehen erinnert, wird ein Automatismus in uns aktiviert, den wir nicht bewusst kontrollieren können.

 

Ganz zu schweigen von Situationen, die wirklich lebensbedrohlich, extrem grenzüberschreitend und entwürdigend waren. Sie sind wie Blitzeinschläge auf unserem Entwicklungsweg. Der Weg ist plötzlich unterbrochen wie von einem riesengroßen Baum, der quer über den kleinen Weg durchs Dickicht gefallen ist, den wir gerade begehen. Wir können nicht einfach weitergehen, wir müssen uns einen neuen Weg suchen, uns neu orientieren und dieser neue Weg führt uns vielleicht ganz woanders hin als der vorherige Weg.

 

 

Hier könnte ich diesen Artikel eigentlich schon beenden, weil es mir vor allem darum ging, darauf hinzuweisen, dass es in uns Allen Muster gibt, die unbewusst wirken und unser Handeln und Empfinden beeinflussen. So manche überzogene Reaktion, die uns selbst erschreckt, weil sie so gar nicht zu der aktuellen Situation zu passen scheint, kann von solch erlebten Traumen herrühren. Angstzustände, Wutanfälle, Gewalttaten etc. kommen nicht einfach so zustande… es verbirgt sich ein verletzter Mensch dahinter.

 

 

Einen weiteren wichtigen Aspekt möchte ich aber hier nicht außer Acht lassen. Außer dem eigenen Erleben ist in uns zusätzlich das Erleben unserer Ahnen abgespeichert. Manche Reaktionen haben deshalb gar nicht unmittelbar mit uns selbst zu tun, aber dem Erleben unserer Eltern und den vorherigen Generationen. Das Erleben ganzer Gemeinschaften, ganzer Gesellschaften ist geprägt von kollektiven Geschehnissen wie Krieg, Verfolgung, Unterdrückung und Entwürdigung. Kollektive Traumen, die auch einen Einfluss auf unser heutiges Leben haben, selbst wenn sich die Lebensbedingungen verändert haben.

 

 

Für mich sehr eindrücklich zu sehen bei uns in Deutschland an dem hohen Bedarf an Sicherheit und dem ständigen Bestreben nach wirtschaftlichem Wachstum, hoher Leistung und Wohlstand. Der Krieg hatte Sicherheit, Wohlstand und auch nationale Identität zunichte gemacht. Für die einen bedeutete der verlorene Krieg eine Erniedrigung, für die anderen Erleichterung, aber auch große Scham. Beides sind Gefühle der Entwürdigung. Die große Kraftanstrengung das Land wiederaufzubauen, rührte auch daher, eine neue Identität aufzubauen und der Welt und sich selbst zu zeigen, was man kann und wer man ist. Es ging darum, die Würde wiederherzustellen.

 

 

Trauma kann in der Folge ungeahntes Potenzial freisetzen. Es kann andererseits aber auch zu Resignation und Ergebung in das vermeintliche Schicksal führen. Eine Form der Erstarrung, wenn Kampf und Flucht nicht möglich scheinen.

 

Man kann diese Form der Traumareaktion bei Mäusen beobachten, die von einer Katze erwischt werden. Sie erstarren. Die Katze hält sie für tot und lässt von ihr ab. Die Maus erwacht aus ihrer Ohnmacht und flitzt davon. Manche sterben trotzdem, weil ihr kleines Herz den Stress nicht ausgehalten hat.

 

 

In Togo hatte ich oft das Gefühl, dass das kollektive Trauma der Versklavung und der Kolonisierung genau diese Form der Erstarrung hervorgerufen haben. Auch wenn unglaublich viel Lebensenergie und Kraft zu spüren waren, hat mich erschreckt wie viel Ergebung in Misere, Glaube an Machtlosigkeit und Abhängigkeit vorherrschten. Die Würde scheint bei vielen Menschen verloren gegangen zu sein. Ein riesengroßes Thema…

 

 

Trauma Verarbeitung scheint mir DAS große Thema unserer Zeit zu sein.

 

 

Heilung ist überall auf der Welt nötig, um ein wirkliches Miteinander möglich zu machen.

 

Es ist an der Zeit.

 

Quelle Foto: Hans Braxmeier auf Pixabay