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Die Angst vor Ungewissheit

Ein anstrengendes, verunsicherndes, herausforderndes Jahr 2020 liegt hinter uns.

 

 

Wir sind eine Gesellschaft, die es gewohnt ist, dass Vieles geregelt und abgesichert ist.

 

Wir planen unser Leben, von der Schulzeit an sind wir darauf ausgerichtet etwas zu erreichen, einen Beruf zu erlernen, Karriere zu machen, materielle Werte wie Haus und Grundstück anzustreben. Wir, damit meine ich alle Menschen, die bewusst oder unbewusst den mehrheitlich anerkannten Zielen  dieser Gesellschaft folgen, mich eingeschlossen. Eine Leistungsgesellschaft sind wir, die auf permanentem Wachstum basiert.

 

Wir sind aber auch eine Solidargemeinschaft. Menschen, die nicht teilhaben können, aus welchen Gründen auch immer, finden Hilfe im System. Die Bedingungen diese Hilfe zu erhalten sind nicht immer angenehm, aber prinzipiell gibt es ein breites Hilfsangebot. Das vergessen viele oder halten es für selbstverständlich, weil sie es nicht anders kennen.

 

 

Wer besonders gut vorgesorgt hat, hat neben den obligatorischen Versicherungen für Krankheit, Arbeitslosigkeit und das Rentenalter noch sein Hab und Gut, mögliche Unfälle, mögliche Streitfälle, mögliche Berufsunfähigkeit, das Leben und sogar den Tod versichert. Es gibt kaum etwas, das wir nicht absichern können. Man kann sich also entspannt zurücklehnen und glauben, dass man für alles gesorgt hat.

 

Und dann kam Corona. Ein klitzekleiner Virus, der in Windeseile unseren Lebensraum okkupiert hat, wie wir es uns niemals hätten vorstellen können. Wir Menschen dringen seit eh und je in die Lebensräume anderer Lebewesen ein und eignen sie uns an. Eigentlich sollte es uns nicht wundern, dass dies nun auch andersherum möglich ist.

 

 

Aber wir sind es gewohnt über alles die Kontrolle zu haben und auf einmal ist nichts mehr unter Kontrolle. Keiner weiß wirklich, was zu tun das Richtige ist. Die Situation ist für alle neu und das weltweit. Auf einmal steht beinah die gesamte Menschheit vor demselben Problem.

 

 

Was macht das mit uns? Wir, die wir so sicherheitsorientiert sind… es macht uns Angst, eine Heidenangst. Das ist völlig normal. Etwas Unbekanntes kommt da auf uns zu. Wir wissen nicht, wie bedrohlich es ist, wir wissen nicht, wie wir uns verhalten sollen und wir haben keine Ahnung, ob wir es unter Kontrolle bekommen oder ob es uns unter Kontrolle bringen wird.

 

 

Die Angst gefällt uns nicht. Sie fühlt sich nicht gut an. Sie macht klein, eng, verletzlich, angreifbar, unsicher… Eigenschaften, die wir nicht schätzen. Was tun wir also? Wir lenken uns ab oder wir suchen nach Erklärungen, die uns helfen das Ganze einzuordnen. Wir sind auch eine Gesellschaft, in der immer jemand oder etwas Schuld hat. Es muss jemand oder etwas zur Verantwortung gezogen werden können. Das macht es doch sofort einfacher. Das lenkt von der eigenen Verantwortung ab und bringt Ruhe ins mentale und emotionale Chaos. Wir müssen uns nicht weiter mit der kleinmachenden Angst beschäftigen, sondern können die Kraft der Wut nutzen. Das fühlt sich doch viel besser an… weniger schwach, weniger hilflos. Unsere Wut hat ein Ziel und einen Sinn. Wir können etwas tun. Wir können schimpfen, anklagen, uns aufregen, auf die Straße gehen und uns streiten mit denen, die anderer Meinung sind.

 

 

Dann fühlen wir die Angst nicht mehr. Was für eine Erleichterung! Aber ist sie deshalb nicht mehr da? Nein, sie lauert unter der Oberfläche und sobald wir ruhig sind, allein und nicht abgelenkt, kommt sie wieder zum Vorschein. Ist es nicht so?

 

Manche versuchen sie weg zu atmen, sie zu verdrängen, sie zu betäuben oder zu verleugnen. Das Alles hilft nur vorübergehend, sie kommt immer wieder. Warum wohl?

 

 

Könnte es sein, dass sie wertvoll ist, unsere Angst. Was, wenn sie nur wahrgenommen werden will, wenn sie uns etwas zu sagen hat und still werden würde, wenn wir ihr nur mal Gehör und Gespür schenken würden, wenn wir sie annehmen als wichtigen Kompass.

 

 

Was wenn es Zeit ist, die vermeintliche äußere Sicherheit in eine stabile innere Sicherheit zu verwandeln? Was wenn es gar nicht nötig ist, immer zu wissen, was kommt?

Meistens sind es doch nur die Vorstellungen von möglichen Ereignissen, die uns Angst machen , bevor überhaupt etwas passiert.

Was wenn wir damit kreieren, was wir gar nicht haben wollen?

 

Und ist es nicht schon immer auch so, dass das Leben uns plötzlich und unerwartet mit Situationen konfrontiert, die uns herausfordern? Wie heißt es so schön: Leben ist, was passiert, wenn du Pläne machst.

Ist es nicht so, dass diese Situationen genau die sind, an denen wir wirklich wachsen?

Kann innerer (!) Wachstum in einer Umgebung von geplanten, überschaubaren, kalkulierbaren, vorhersehbaren bekannten Ereignissen stattfinden?

Haben wir Menschen uns durch risikofreies Handeln weiterentwickelt?

Gehörte nicht immer schon Mut zum Risiko dazu, um neues zu erforschen und zu entdecken?

Sollte man daher unerwartete Herausforderungen nicht geradezu begrüßen?

 

 

Vielleicht haben wir uns viel zu sehr ausgeruht auf unserer Planung von kontinuierlichem Wachstum und beruhigenden Sicherheiten. Vielleicht ist unsere innere Entwicklung viel zu sehr vernachlässigt worden. Wir haben unglaubliche technische Fortschritte erreicht, aber sind wir menschlich so fortgeschritten?

 

Wenn ja, gäbe es dann noch Kriege, Verfolgung, Armut und Hungersnöte überall auf der Welt?

 

Wie ist es möglich, dass Menschen in Saus und Braus in totalem Überfluss und Luxus leben, während andere nicht über sauberes Wasser und ausreichende Nahrung verfügen? Sind wir als Menschheit nicht völlig verrückt, dass wir unsere Möglichkeiten nicht dazu zu nutzen uns gegenseitig zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass Mensch, Tier und Umwelt gleichermaßen wertschätzend behandelt werden?

 

 

Und was tun wir statt uns aufzuraffen, die Ärmel hochzukrempeln und uns gegenseitig zu zeigen, dass wir verstanden haben? Wir fangen an uns vor lauter Angst gegenseitig anzugreifen, uns zu streiten, zu glauben wir wüssten es besser als andere.

 

 

Wir erschaffen nur ein weiteres Schlachtfeld, anstatt uns gegenseitig beizustehen.

 

 

Vielleicht ist es nötig, dass wir alle mal Zähne klappernd dasitzen und uns fragen, wie es denn bloß weitergehen soll mit uns auf dieser Erde. Und mal hinspüren, die Angst mal annehmen, als ein Zeichen, als ein Hinweis. Die Angst ist eine Möglichkeit unserer Seele mit uns zu sprechen, nicht mehr und nicht weniger. Sie ist ein Wegweiser, der uns eine Chance auf wirkliche menschliche Evolution aufzeigt.

 

 

Wer immer das schon getan hat….inne gehalten…in sich gelauscht…der Angst im Körper nachgefühlt hat, ohne sich von ihr überrollen zu lassen, der hat vermutlich erfahren, wie sie sich entspannt und leise wird, weil sie gehört wurde. Daraus kann ein großes Vertrauen erwachsen. Vertrauen in das Leben, Vertrauen in die eigenen Gefühle und den eigenen Körper und seine Führung im Leben.

 

 

Ein solches (Ur)Vertrauen kann einem die nötige innere Stabilität geben, die auch dann noch da ist, wenn im Außen alles wegbricht.

 

 

Achtung: Mitunter ist es nicht ratsam sich seiner Angst allein hinzugeben, vor allem nicht, wenn man bereits mit Angststörung und/oder Panikattacken zu tun hatte. Dann ist es ratsam und dringend empfohlen sich eine professionelle Begleitung dafür zu suchen, die einen schützenden Rahmen halten kann.

 

 

Ich wünsche uns allen für dieses neue Jahr 2021 sehr viel Vertrauen… jede/r kann es wiederfinden. „Vertrauen ist die stillste Art von Mut“, habe ich kürzlich gehört. Wir brauchen mehr von dieser stillen Art, dann kann es ein wunder-volles Jahr werden.